Rückenwind

Abstract

Die Inhaftierung eines Elternteils stellt eine Belastung für jedes weitere Familienmitglied und das gesamte Familiensystem dar. Kinder inhaftierter Eltern sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen überdurchschnittlich körperlich und psychisch belastet und geraten in einem Familiensystem, welches sein bisheriges Gefüge verliert, oftmals in eine „Erwachsenenrolle“. Aber auch die Eltern werden durch einen solchen Einschnitt stark belastet. Die Paarbeziehung wird oftmals auf die Probe gestellt und auch die Elternebene muss den veränderten Umständen angepasst werden. Hinzu kommen in den meisten Fällen soziale und ökonomische Belastungen. Für den inhaftierten Elternteil trägt die Aufrechterhaltung eines Familienlebens und die Rückkehr in ein stabiles Familiensystem maßgeblich zur Resozialisierung bei, sodass die Unterstützung betroffener Familien dringend erforderlich ist (Sandmann & Knapp, 2018). Rückenwind berücksichtigt und involviert alle Familienmitglieder in das Hilfsangebot und bietet für jeden individuelle Hilfsangebote.

Finanzielle und rechtliche Grundlagen

Die Hilfe wird über das zuständige Jugendamt gemäß §27 oder §31 SGB VIII finanziert. Der finanzielle Rahmen richtet sich nach der mit dem fallführenden Jugendamt getroffenen Leistungsvereinbarung und dem damit verbundenen Fachleistungsstundensatz. 55 Monatsstunden verteilt auf zwei Fachberater werden für die umfangreiche Maßnahme empfohlen. Eine zeitliche Begrenzung der Beauftragung durch das fallführende Jugendamt, empfiehlt gedacht individuell und auf die Bedürfnisse der Familie abgestimmt.

Zielgruppen

Zum Stichtag 2019 gab es in unserem Bundesland knapp 12 000 Männer und 1 000 Frauen in den Justizvollzuganstalten (Justiz NRW, 2019), sodass anzunehmen ist, dass es eine hohe Zahl von Kindern und Jugendlichen gibt, die von dem – zeitweisen – Verlust eines Elternteils durch eine Inhaftierung betroffen sind. In Deutschland wird die Zahl auf 50 000 bis 100 000 geschätzt (Bieganski et al., 2010).
Dieses Angebot richtet sich an Familien, in denen Elternteile inhaftiert sind oder Haftstrafen bevorstehen. Bereits die Perspektive einer Haftstrafe belastet ein Familiensystem und rechtfertigt den Start dieser Maßnahme. Im Fokus steht die gesamte Kernfamilie, sodass auch für jedes Familienmitglied Hilfestellungen angeboten werden; sowohl dem Kind und dem sorgenden Elternteil als auch dem inhaftierten Sorgeberechtigten in der JVA. Die Maßnahme ist unabhängig vom Geschlecht des inhaftierten Elternteils und richtet sich explizit auch an Familien, in denen die Kindeseltern getrennt sind.

Ziele

Kinder sind auf die emotionale Stabilität und verlässliche Präsenz ihrer Eltern angewiesen. Verlässt ein Elternteil nun das Familiensystem, ist ein kindgerechter, altersangemessener und sensibler Umgang mit dem Thema erforderlich. Um dem Kind eine stabile Basis zu bieten, ist es ebenso ein Ziel, die emotionale Stabilität des sorgenden Elternteils zu fördern. Zudem soll der inhaftierte Elternteil in der Ausführung seines Umgangsrechts unterstützt und begleitet werden, um einen Bindungsabbruch, welcher einen Risikofaktor für die kindliche Entwicklung darstellen würde, zu vermeiden.

Hilfe-/Auftragsplanung

Der Auftrag beinhaltet

  • Einzeltermine mit dem Kind,
  • Einzelgespräche sowohl mit dem sorgenden
  • als auch inhaftierten Elternteil,
  • Gespräche mit Institutionen des näheren Umfeldes der Familie (z.B. Kindergarten, Schule etc.)
  • Kontakte mit dem Jugendamt
  • Vor- und Nachbereitung der Umgangskontakte mit dem Kind als auch Elternteil
  • und die Begleitung der Umgangskontakte. Entwicklungen werden in Berichten festgehalten und dem Jugendamt in vereinbarten Zeiträumen zur Verfügung gestellt.

Angebotsstruktur

Für jedes Familienmitglied entsteht durch die belastende Situation ein eigener Hilfebedarf, der zu Beginn der Maßnahme durch das fallführende Jugendamt als auch durch die Berater evaluiert wird. Mögliche Arbeitsaufträge in Bezug auf die jeweiligen Familienmitglieder können sein:

Für das Kind

  • "Was bedeutet, Papa/Mama muss ins Gefängnis?"
  • Beziehungsarbeit mit dem sorgenden Elternteil
  • Resilizenz stärken
  • Gespräche mit Schule/Kindergarten
  • Umgangskontakte vorbereiten, begleiten und nachbesprechen

Für den sorgenden Elternteil

  • Aufklärung über das Haftsystem
  • Sensibilisierung für die Situation des Kindes
  • Tagesstruktur ohne Partner
  • Erziehungsberatung
  • Finanzcheck-/Beratung

Für den inhaftierten Elternteil

  • "Wie bleibe ich ein Teil der Familie?"
  • "Wie erkläre ich meinem Kind, wo ich hingehe?"
  • Einzelgespräche in der JVA
  • Umgangskontakte vorbereiten, begleiten und nachbesprechen
  • Eventuell, nach Möglichkeit: Gesprächsgruppe in der JVA

Literaturnachweis

Stand: 01.10.2020

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